In der so genannten Sommersession befasste sich der Grosse Rat wiederum mit sehr vielen Geschäften. Im Hinblick auf die nationalen Wahlen im Herbst wurden von allen Seiten unzählige Vorstösse eingereicht, welche die Traktanden- und Rednerliste über Gebühr belastete. Es kam dann wie es kommen musste: Viele Geschäfte wurden in die Herbstsession verschoben und die Planung der Wintersession sieht nun bereits drei zusätzliche Sessionstage vor. Nachstehend sei wie immer eine Auswahl von Geschäften der vergangenen Session kurz dargestellt.
Wahlen der Präsidien des Grossen Rates und des Regierungsrates
Zu Beginn der Session wählte der Grosse Rat die Präsidien von Parlament und Regierung. Unser Fraktionsmitglied, Stefan Costa, wurde dabei mit einem sehr guten Resultat von 128 Stimmen zum ersten Vizepräsidenten des Grossen Rates gewählt. Die Fraktion gratulierte ihm herzlich.
Im Weiteren wurde folgende Ämter neu besetzt:
• Grossratspräsidium: Hannes Zaugg-Graf (glp)
• Zweites Vizepräsidium des Grossen Rates: Hervé Gullotti (SP)
• Regierungspräsidium: Christoph Ammann (SP)
• Vizepräsidium des Regierungsrates: Pierre Alain Schnegg (SVP)
Stefan Costa kam denn auch in dieser Session bereits zum Einsatz (siehe Bild). Er hat seinen Einstand mit Bravour bestanden.
Grossratserklärung zum Klimaschutz
Zur Klimapolitik verabschiedete der Grosse Rat eine Erklärung. Darin anerkannte er eine gewisse Mitverantwortung bei der Bekämpfung des Klimawandels. So sollen künftig Geschäfte prioritär behandelt werden, die den Klimawandel und seine Folgen abschwächen. Die Erklärung hat bloss deklaratorischen Charakter. Die FDP unterstützte die Erklärung einstimmig, da sie grundsätzlich Handlungsbedarf sieht. Allerdings sind wir uns bewusst, dass der Kanton Bern mit einem CO2-Ausstoss von etwa einem 1/10’000 des weltweiten CO2-Ausstosses kaum Entscheidendes beitragen kann.
Parlamentarische Initiative zum Klimaschutz
Die Bau-, Energie-, Verkehrs- und Raumplanungskommission (BaK) schlug dem Parlament vor, eine parlamentarische Initiative von Bruno Vanoni (Grüne), welche den Klimaschutz als vordringliche Aufgabe in der Kantonsverfassung verankern wollte, vorläufig zu unterstützen, was es schliesslich gegen den Willen der SVP und Teilen der FDP auch tat.
Die vorläufige Unterstützung bedeutet, dass die Kommission nun einen ausformulierten Verfassungsartikel erarbeiten muss, welcher textlich von der Initiative abweichen darf. Nach einer Vernehmlassung wird die Kommission dem Grossen Rat einen Beschluss zum Entscheid unterbreiten. Ein Teil der FDP-Fraktion unterstützte dieses Vorgehen nicht zuletzt deshalb, weil mit der vorläufigen Unterstützung zwar ein Zeichen für den Klimaschutz gegeben wird, inhaltlich aber im Moment noch alles weitgehend offenbleibt. Der andere Teil der Fraktion und mit ihr der Schreibende vertritt demgegenüber die Auffassung, dass eine neue Verfassungsbestimmung keinen Mehrgehalt bringt, weil mit dem bestehenden Art. 31 KV der Schutz der Lebensgrundlagen (wozu auch der Schutz vor schädlichen klimatischen Veränderungen gehört) mit Rücksicht auf bestehende und kommende Generationen bereits ausdrücklich und genügend verankert ist.
Bericht und Gesetzesvorlage zur Direktionsreform
Die Direktionsreform im Kanton Bern wird ab 2020 vollzogen. Der Grosse Rat stellte sich hinter die Pläne der Regierung, indem er deren Bericht einstimmig zur Kenntnis nahm und das Organisationsgesetz anpasste. Mit der Reform werden kleine, aber wichtige, Anpassungen für eine ausgewogenere Verteilung der Aufgaben auf die sieben Direktionen umgesetzt. Zudem lassen sich Schnittstellen abbauen. Die Direktionsreform bringt konkret einige Neuerungen. So wird die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) neu Gesundheits- und Integrationsdirektion heissen, Die Volkswirtschaftsdirektion wird zur Wirtschafts-, Energie- und Umweltdirektion und die heutige Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion zur Direktion für Inneres und Justiz. Die heutige Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion wird zu einer reinen Infrastrukturdirektion mit dem Namen Bau- und Verkehrsdirektion. Die Erziehungsdirektion soll neu Bildungs- und Kulturdirektion heissen. Auch für die Polizei- und Militärdirektion ist ein neuer Name vorgesehen: Sicherheitsdirektion. Die Finanzdirektion heisst auch künftig so.
Allerdings ist noch ein Vorbehalt zu machen: Der Grosse Rat wird in der Herbstsession die Namensgebung noch mittels Dekret absegnen müssen oder selber noch Regierung spielen, indem er neue Namen in die Diskussion wirft. Die entsprechende Debatte dürfte heiter werden.
Briefträger-Motion betreffend Moratorium bei der Schliessung von Poststellen im Kanton Bern
Eine knappe Mehrheit des Grosse Rat erwartet ein stärkeres Engagement der Regierung gegen die fortlaufende Schliessung von Poststellen. Der Regierungsrat soll «mit Nachdruck beim Bund intervenieren, damit dieser die Post bei der Schliessung von Poststellen zu einem Moratorium zwingt» – und zwar solange, bis die 2018 von der Bundesversammlung überwiesene jurassische Standesinitiative umgesetzt ist. Die Ratsminderheit und Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann (SP) wiesen vergeblich darauf hin, dass sich der Bund nicht ins operative Geschäft der Post einmische. Zudem könne es auch von Vorteil sein, wenn der Dorfladen die Aufgaben der Post übernehme, erklärten mehrere Sprecher. Die Motion wurde mit 71 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen überwiesen. Die FDP war grösstmehrheitlich dagegen.
Wasserversorgungsgesetz, 2. Lesung
Mit Beiträgen aus dem Wasserfonds unterstützt der Kanton Bern Investitionen in Wasserversorgungsanlagen. Der Fonds verfügt jedoch über zu wenig Mittel, um die Ausgaben zu decken. In den letzten Jahren übertrafen die Ausgaben die Einnahmen deutlich; auch künftig ist mit Ausgaben zu rechnen, welche die Einnahmen klar übersteigen. Mit der bisherigen Regelung ist von einer systematischen Unterdeckung von 20 Prozent auszugehen. Damit der Wasserfonds wieder auf eine gesunde Basis gestellt werden kann, sollen die Beiträge an die Wasserversorgungen mit der vorliegenden Änderung des Wasserversorgungsgesetzes reduziert werden. Der Rat stimmte diesem Vorgehen zu, beschloss jedoch in der 2. Lesung eine Härtefallregelung für besonders betroffene Gemeinden ins Gesetz einzufügen.
Vorstösse zum Bieler Westast und zum Porttunnel
Der Grosse Rat hatte erneut verschiedene Vorstösse zum geplanten Bieler Westast der A5 zu behandeln. Keine Chance hatte eine Motion von Julien Stocker (GLP), der einen Rückzug des aktuellen Ausführungsprojekts forderte, um angeblich den Weg für eine neue Variante frei zu machen. In Tat und Wahrheit sollte wohl das in der Zuständigkeit des Bundes liegende, grundsätzlich sachgerechte Ausführungsprojekt abgeschossen werden. Demgegenüber überwies der Rat mit 81 zu 61 Stimmen anschliessend eine Motion von FDP-Grossrat Peter Moser, welche forderte, dass zunächst einmal der Porttunnel als Teilprojekt vorgezogen wird. Die Wehrbrücke in Port musste nämlich für den Schwerverkehr gesperrt werden, weil sie sich in einem desolaten Zustand befindet. Dies führte gemäss Sandra Hess, FDP Nidau, dazu, dass die Lastwagen durch Nidau umgeleitet würden. Eine Sanierung der Brücke hänge daher direkt vom Fahrplan zum Bau des Porttunnels ab. Deshalb brauche es rasch Klarheit in dieser Sache. Die Regierung hätte den FDP-Vorstoss lieber in der abgeschwächten Form eines Postulates entgegengenommen. Dies, um angeblich den laufenden Dialog zum Westast nicht zu beeinträchtigen. Ob dieser Dialog allerdings ausser Projektverzögerungen etwas bringen wird, wird sich noch weisen müssen. Richtigerweise wurde auch eine SP-Motion für ein Westast-Moratorium unter Hinweis auf die mit dem Dialog zusammenhängende Sistierung des Projektes gleichzeitig mit deren Annahme als erfüllt abgeschrieben.
FDP-Vorstoss zur Erhöhung der Nettoinvestitionen
Der Grosse Rat nahm mit deutlichem Mehr eine FDP-Motion an, welche die Nettoinvestitionen künftig auf ein Level von mindestens 500 Mio. Franken anheben will. Dies entspricht einer Erhöhung gegenüber dem VA/AFP 2019/ 2020-2022 von 46 Millionen Franken im 2020, 56 Millionen für 2021 und 35 Millionen für 2022. Die Begründung lag vorab darin, dass die Investitionen Jahr für Jahr zusammenschrumpfen. Im vergangenen Jahr hatten sie einen negativen Rekord erreicht. Gleichzeitig beklagt sich der Regierungsrat über eine künftige Bugwelle (Aufstau von Investitionsprojekten) ab dem Jahr 2022. «Kein Wunder» war man geneigt zu sagen. Eine erste Massnahme müsste und muss doch darin bestehen, die Investitionen wieder auf ein vernünftiges Level zu hieven. Stattdessen scheinen der Regierungsrat und vor allem die Finanzdirektion ihre Energie vor allem dahin zu verwenden, dem Grossen Rat die Notwendigkeit eines Investitionsfonds zur Umgehung der Schuldenbremse schmackhaft zu machen. Selbst wenn der Grosse Rat (gegen den Willen der FDP) der Schaffung eines solchen Fonds in der Herbstsession zustimmen sollte, würde wohl ein Sachplanungsüberhang bei den anstehenden hohen Investitionen bestehen bleiben.
Verpflichtungskredite zur Sanierung des Gymnasiums Hofwil
In Anbetracht der immer noch ausstehenden Präsentation der angepassten Investitionsplanung durch die Finanzdirektion wurde die Beratung eines 8-Millionen-Franken-Verpflichtungskredites zur Sanierung des Gymnasiums Hofwil auf die Herbstsession verschoben.
Motion «gegen eine generelle Bestrafung ländlicher Gemeinden»
Im Kanton Bern wird der Fusionsdruck auf finanzschwache Gemeinden nun doch nicht erhöht. Der Grosse Rat sprach sich entgegen seines früheren Beschlusses zu einer Planungserklärung der FDP für eine Motion der SVP aus, welche den Verzicht auf eine Kürzung der Gelder aus dem Finanz- und Lastenausgleich (Mindestausstattung) forderte. Die FDP war diesbezüglich gespalten. Eine Mehrheit war nach wie vor der Meinung, dass finanzschwache Gemeinden mit diesem finanziellen Druckmittel rascher zu einer Fusion zu bewegen wären und lehnte die Motion ab. Die Regierung war demgegenüber für Annahme. Es sei falsch, den fein austarierten Finanz- und Lastenausgleich mit dem Ziel von Gemeindefusionen zu verknüpfen. Dazu brauche es freiwillige Massnahmen.
Motion zur Einführung von Mindestpensen bei Lehrkräften
Mit 80 zu 54 Stimmen lehnte der Grosse Rat die Einführung von Mindestpensen für Lehrerinnen und Lehrer an der Volksschule ab. Dies, obwohl Annegret Hebeisen-Christen (SVP) ihren Vorstoss am Anfang der Debatte in ein Postulat umwandelte. Hebeisen-Christen und ihre Mitunterzeichner aus FDP und GLP sahen die Einführung von Mindestpensen als sinnvolle Massnahme gegen den akuten Lehrermangel im Kanton Bern. Der Vorstoss hätte zur Folge gehabt, dass keine Lehrperson weniger als zehn Lektionen pro Woche hätte unterrichten dürfen. Letztlich fanden jedoch die Worte von Erziehungsdirektorin Christine Häsler (Grüne) mehr Gehör. «Der Vorschlag greife in die Autonomie der Gemeinden ein», warnte sie. Diese Argumentation bewog schliesslich sogar manche SVPler dazu, gegen den Vorstoss ihrer Parteikollegin zu stimmen.
Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs
Der Grosse Rat beugte sich in mehreren Sessionstagen über die geplante Umstrukturierung im Asylwesen. Neu soll die Gesundheits- und Fürsorgedirektion (GEF) für alle Belange der Asyl- und Flüchtlingssozialhilfe zuständig sein während sich die Polizei- und Militärdirektion (POM) künftig auf den Vollzug von rechtskräftigen Wegweisungsentscheiden konzentriert. Dazu wurden dem Rat zwei Erlasse vorgelegt: Ein neues Gesetz über die Sozialhilfe im Asyl- und Flüchtlingsbereich sowie eine Totalrevision des Einführungsgesetzes zum Ausländer- und Integrationsgesetz und zum Asylgesetz. Eine linke Minderheit der vorberatenden Kommission und dann auch im Rat lehnt die nach ihrer Auffassung «repressive» Ausrichtung beider Gesetzesvorlagen ab. Von den linken Ratsmitgliedern besonders kritisiert wurde die Absicht der Regierung, weiterhin Familien mit minderjährigen Kindern vor der Ausschaffung eine Nacht in eine Hafteinrichtung einweisen zu können. Laut Regierung geht es um Einzelfälle, bei denen abgewiesene Asylsuchende die selbstständige Ausreise mit unkooperativem Verhalten vereiteln und die Behörden deshalb die zwangsweise Rückführung anordnen. Seit 2015 gab es nur drei Fälle, bei denen Eltern gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern inhaftiert wurden. Eine Mehrheit im Grossen Rat sah dies jedoch anders und beschloss, künftig im Kanton Bern auf diese Zwangsmassnahme zu verzichten – auch weil dafür die gesetzlichen Grundlagen fehlten. Konsequent blieb das Parlament bei der Beratung eines weiteren Artikels gemäss welchem 15- bis 18-Jährige weiterhin kurzzeitig inhaftiert werden können. Die Behörden müssten – als Ultima Ratio – renitente Jugendliche einsperren können, auch zum Schutz von Mitbewohnern und Heimpersonal. Abgelehnt wurde auch ein Antrag von Christa Ammann (Alternative Linke), der sich gegen unterirdische Asylunterkünfte richtete. Diese würden zu gesundheitlichen Schäden wegen der schlechten Luft und zu psychischen Problemen führen, sagt sie. Die Ratsmehrheit war der Meinung, die Möglichkeit von unterirdischen Unterkünften müsse bestehen bleiben. So behalte der Kanton die nötige Flexibilität, wenn er wieder einmal sehr viele Unterbringungsplätze brauche. Erfolg mit einem Antrag hatte einzige der Grünliberale Michael Köpfli: Er setzte sich ein für Menschen, die noch im alten Asylsystem einen Arbeitsplatz oder eine Lehrstelle gefunden haben und nun aufgrund eines negativen Entscheids von einem Arbeitsverbot bedroht sind. Für sie braucht es laut Köpfli eine Härtefallregelung, damit sie bis zur Ausreise weiterarbeiten könnten. Die vorberatende Kommission wird für die zweite Lesung nach einer passenden Formulierung suchen, wenngleich unser Polizeidirektor, Philippe Müller, mahnte, es gebe aufgrund der Bundesvorgaben kaum Spielraum. Die beiden Erlasse wurden schliesslich mit grossen Mehr in erster Lesung verabschiedet.
Überprüfung des Personalbestands der Kantonspolizei
Der Grosse Rat befasste sich im Weiteren mit einem Bericht zum Personalbestand der Kantonspolizei. Bis 2030 möchte die Regierung 360 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten anstellen, was dem Kanton jährliche Mehrkosten von 62 Millionen Franken bescheren würde. Entscheide fielen noch keine. Das Parlament konnte der Regierung aber Leitplanken für die Weiterarbeit am Geschäft setzen. Aus der Sicht der vorberatenden Sicherheitskommission ist es zwar fraglich, ob es tatsächlich 360 neue Stellen braucht. Immerhin war man sich aber einig, dass bis 2025 die Kapo 170 neue Polizistinnen und Polizisten einstellen soll. Diese werden dringend benötigt, denn die Berner Ordnungshüter haben in den letzten Jahren zusammen 553’000 Überstunden angehäuft. Nach der ersten Ausbauetappe wird unser Polizeidirektor, Philippe Müller, dem Grossen Rat eine Evaluation vorlegen, und damit zeigen, ob bis 2030 tatsächlich zusätzliches Personal vonnöten sein wird. Was bereits klar ist: Die neuen Polizisten sollen nicht für mehr Verkehrskontrollen eingesetzt werden. Eine entsprechende Planungserklärung der SVP fand eine Mehrheit (auch bei der FDP). Grünes Licht gab das Parlament übrigens auch zum Beschaffungskredit für neue Polizeiuniformen.
Kantonswechsel der Gemeinde Clavaleyres
Der Kantonswechsel von Clavaleyres BE zu Freiburg ist einen Schritt weiter. Der Grosse Rat stimmte dem Gebietsänderungskonkordat mit 133 zu 5 Stimmen zu. Am 9. Februar 2020 entscheidet das Stimmvolk.
Richterwahlen
Auch in dieser Session fanden verschiedene Richterwahlen statt. Aus FDP-Sicht war sehr erfreulich, dass wir zwei neue Laienrichterinnen für die Regionalgerichte stellen dürfen, eine in deutscher und eine in französischer Muttersprache. Es handelt sich dabei um Ursula Stöckli (Bern) und Christine Schindler (Bévilard). Diesmal hat uns die SVP übrigens sehr unterstützt, was wir herzlich verdankten.